Selbstmarketing – was haben Bewerbung, Gehaltsverhandlung und eine Rolex gemeinsam?
Als Karriere- und Personalberater schaue ich mir viele Lebensläufe und Bewerbungsunterlagen an und eine Sache fällt mir immer wieder auf. Die Lebensläufe sind in den allermeisten Fällen gut strukturiert, optisch ansprechend formatiert und gespickt mit den einzelnen Stationen von der Grundschule bis zum letzten beruflichen Einsatz. Bei Informatikern und Ingenieuren sind noch sehr detailliert die Kenntnisse mit allen möglichen Werkzeugen der Zunft aufgelistet. BWLer vermerken ihre Cambridge-Sprachzertifikate und alle möglichen Zusatzkurse. Alles schön und gut soweit. Das ist alles wichtig, denn bei den heute gebräuchlichen Recruiting-Systemen ist es hilfreich, alle zielführenden Qualifikationen abzuspeichern, um bei den relevanten Suchen der HR-Manager auch vom System „ausgespuckt“ zu werden.
Auffallend schlecht sind aber – Ausnahmen bestätigen die Regel – die Bewerbungsschreiben. Den meisten Anschreiben sieht man auf den ersten Blick an, dass der Bewerber bzw. die Bewerberin hier der Meinung war, einen tollen Wurf gemacht zu haben, um sich nun – wie der BWLer sagt pareto-optimal nach der 80:20 Regel mit minimalen Anpassungen am Text zu bewerben. Wobei das Muster im besten Fall 20 % der Adressaten anspricht und nicht 80%. Meist liegt die Erfolgsquote sogar weit darunter.
Was hat das Ganze jetzt bitte mit einer Rolex zu tun? Ganz einfach: Rolex rückt die Verkaufsbroschüre (das Anschreiben) in den Vordergrund. Hier wird eine Story entwickelt. Auf den Webseiten (und den Anzeigen in Magazinen) sieht der geneigte Leser sich buchstäblich im Sattel eines Polopferds sitzen. Oder beim gekonnten 250 Meter Drive auf dem Luxus-Golfplatz – die edle Rolex natürlich immer am Arm. Die Frequenz der Breguet-Spirale und des Aufzugsrotors, die 2-fache Dichtfunktion interessiert die meisten Rolex-Kunden periphär. Genauso ob das Saphirglas 1, 2 oder 3 mm dick ist. Folgerichtig kommen die Technischen Daten (analog: der Lebenslauf) bei Rolex auch erst im Kleingedruckten oder ganz unten auf der Webseite. Unwichtig sind sie trotzdem nicht, denn wenn der Kaufinteressent sich für die 10.000 Euro Uhr entschieden hat, dann holt er sich die Technischen Spezifikationen, um sich den Kauf zu rechtfertigen. Eigentlich ist die Entscheidung aber längst getroffen.
So ähnlich läuft es auch im Bewerbungsprozess. Der HR-Manager schaut sich die eingegangenen Bewerbungen an. Die Recruiting-Software hilft ihm bei der Vorauswahl und zeigt ihm an, wie gut Ihre Bewerbung mit den Anforderungen „matched“ – von daher sind die Skills und vollständige CVs heute noch wichtiger als früher bei der papier- oder E-Mail-basierten Bewerbung. Jetzt hat der Recruiter eine Auswahl von sagen wir 15 Kandidaten vor der Nase, die laut HR-Software gut passen. Und nun? Welche fünf Kandidaten erhalten zunächst eine Chance fürs Vorstellungsgespräch mit dem ausgelasteten Manager im Fachbereich? Denn Zeit ist Geld und Ihre Reisekosten wollen auch bezahlt sein.
Die Kandidaten, die im Anschreiben den gleichen Sermon wiederholt haben, der bereits im Lebenslauf steht, eher nicht. Es sei denn alle 15 Kandidaten machen es gleich – dann entscheidet das Los. Oder das Bauchgefühl des Recruiters oder die Optik des Bewerbungsfotos. Aber wer will sich darauf verlassen? Die wenigsten von uns sehen aus wie Top-Models – sonst hätten wir uns nicht durch ein Informatik-, Ingenieurs- oder BWL-Studium gequält 😉
Klar im Vorteil sind die Kandidaten, die jetzt im Anschreiben ganz klar und präzise zum Ausdruck bringen können, warum sie die beste Platzierung, der beste Mitarbeiter in spe – die zukünftige Speerspitze der Abteilung sind. Und dafür gilt es, sich in den Bewerbungsempfänger hineinzuversetzen – und zwar in den Erstadressaten (den Recruiter) und zweitens den späteren Chef (den sog. Hiring-Manager oder Fachvorgesetzten). Deshalb habe ich hier mal ein paar aus meiner Sicht wichtige Tipps herausgehoben:
- Von ICH-Form in SIE-Form umschalten: In vielen Anschreiben betonen die Bewerber gerne, was sie (ICH) schon alles gemacht haben. Besser ist es, zu betonen, was alles für den Arbeitgeber (SIE) gemacht werden kann. Z.B. Innovative Produkte entwickelt, oder der Umsatz gesteigert, oder die Kosten kontrolliert und gesenkt oder die Geschäfte im Ausland angekurbelt oder oder oder.
- Die Muss-Anforderungen beachten: In fast jeder Anzeige definiert der Arbeitgeber Schlüsselanforderungen. Erfüllen Sie diese? Dann weisen Sie im Anschreiben aktiv darauf hin. „Die geforderten J2EE-Kenntnisse in Verbindung mit Websphere bringe ich gerne bei Ihren Finance-Kunden ein. Die Erfahrung konnte ich in den letzten 3 Jahren in x IT-Projekten im Bankenumfeld vertiefen.“ – Welche IT-Beratung für Banken kann da widerstehen?
- Nice-to-Haves als Kür: Sie können sogar beim Wunschkonzert mitspielen? Prima – dann sagen Sie das aber auch klar, denn nur so stechen Sie aus der Masse wirklich heraus.
- Track-Record: Im Vertrieb wird gerne vom Track-Record gesprochen. Was haben Sie bisher gerissen? Wie viel Umsatz haben Sie gemacht? Wie war Ihre Quote. Bringen Sie den für den Kunden wesentlichen Erfahrungsschatz in Kürze auf den Punkt. „Bei meinem letzten Arbeitgeber war ich gefragter Senior-Berater mit X fakturierten Manntagen in den vergangenen 12 Monaten.“ Klasse – Sie denken unternehmerisch und Ihrem Fachvorgesetzten erscheinen schon die Euro-Zeichen vor den Augen.
Zurück zur Rolex. Ich habe ja schon gesagt, dass die meisten Käufer wenn sie die Kaufentscheidung getroffen haben, die Spezifikationen zur Hilfe holen, um den Kauf zu rechtfertigen, nach dem Motto: „Schatz, guck mal. So eine Rolex in Massivgold ist doch quasi unvergänglich. Die kann ich ja die nächsten 40 Jahre tragen und sie sieht immer noch wie neu aus.“.
Jetzt überlegen Sie sich mal, um wie viel Geld es bei Ihrem Arbeitgeber geht, wenn er Sie einstellt und Sie die nächsten 3-5 Jahre als Arbeitnehmer bezahlt. Lohnt sich da Selbstmarketing in eigener Sache?
In diesem Sinne wünsche ich einen schönen Abend.
Jürgen